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Politik, List mit der Frist

 

Die List mit der Frist

 

Von Urs Paul Engeler
Die Invalidenversicherung soll mit neuen Steuermilliarden saniert werden, die zeitlich

befristet wird. Es darf gelacht werden. Denn die Erfahrung zeigt :

Solche Befristungen verstetigen sich. Unter den politischen Lügen, die im Bundeshaus

ausgedacht und im Land verbreitet werden, ist der Hinweis auf die Befristung einer

staatlichen Massnahme wohl eine der perfidesten. Fast jede finanzielle Belastung, die dem

Bürger in den letzten Jahren zugemutet wurde, begann als scheinbar unverbindlicher,

mitunter wissenschaftlich begleiteter Versuch, wurde bald in ein strikt befristetes Prov -

isorium übergeführt und mündete kurze Zeit später in ein neues Gesetz oder gar in eine

Verfassungsbestimmung. Darum ist die aktuelle Diskussion, ob die Erhöhung der Mehrwert -

steuer zugunsten der bankrotten Invalidenversicherung ( IV ) nur befristet eingeführt werden

soll oder definitiv, ein Scheingefecht ohne jeden Realitätsgehalt.

Wird hierzulande eine Steuer erfunden und erhoben, dann bleibt sie so bestehen, bis sie

erhöht wird - befristet hin, befristet her.

Das zeigt die Geschichte der helvetischen Dauerprovisorien.
 

Anschubfinanzierung für Jahrzehnte

Die Eidgenossenschaft gründet insgesamt auf solchen verstetigten Notbehelfen.

Aus der seit 1943 via Vollmachtenregime und darum befristet eingezogenen Wehrsteuer zur

Finanzierung der Kriegslasten wurde die stets neu befristete direkte Bundessteuer, die

gegenwärtig, befristet bis 2020, 14,3 Milliarden abwirft und Staatsziele aller Art finanziert. Ebenfalls bis 2020 befristet ist die Kompetenz des Bundes, eine Mehrwertsteuer einzu -

treiben ( über 19 Milliarden ). Die Aufhebung ist kein Thema.

Die List mit der Frist bereitete vor über 20 Jahren auch den Boden für die besondere

Verkehrspolitik der Schweiz. Die Subventionierung des Huckepackverkehrs mit 25 Millionen

Franken, versprach 1982 der damalige Verkehrsminister Leon Schlumpf ( SVP ) hoch und

heilig, sei als Anschubfinanzierung unverrückbar auf vier Jahre limitiert. Heute werden

dafür jährlich 215 Millionen ausgegeben.

 

Autobahnvignette und Schwerverkehrsabgabe
Als Bundesrat und Parlament - notabene allein aus finanzpolitischen Gründen - am

26. Februar 1984 von Volk und Ständen ein zweifaches Ja zur Einführung der Autobahn -

Vignette ( CHF 30.00 ) und der Schwerverkehrsabgabe ( bis CHF 4500.00 ) verlangten,

beruhigten sie, ausdrücklich und wiederholt, die Bürger mit dem Verweis auf den provisorischen Charakter der heftig umstrittenen neuen Steuern und die absehbare Zeitdauer

der zusätzlichen Belastung :
Die Schwerverkehrsabgabe und die Autobahn - Vignette sind auf zehn Jahre befristet und

können vor Ablauf dieser Frist durch ein Gesetz wieder aufgehoben werden.Das Problem der

Verkehrsfinanzierung werde ohnehin umfassend und ausgewogen im Rahmen der koordinierten Verkehrspolitik ( KVP ) geregelt.

 

Heroin und Methadon
Nach der gleichen Methode wurde die  staatliche Zuteilung von Heroin oder Methadon an

nachfragende Fixer unentbehrlich gemacht. Das Programm startete am 02. Februar 1991 in

einer ganz schmalen Gesetzeslücke - seriöse Juristen meinen in der Illegalität -, nämlich als

wissenschaftliches Forschungsprojekt. Der Bericht der geneigten Begleiter des Tuns

( geeignete Behandlungsform ) lieferte dem Bundesrat 1997 das dringend benötigte

Argument, um die Drogengeschenke im Dringlichkeitsverfahren zu legalisieren, zuerst

befristet bis 2004, dann befristet bis 2009. Das Provisorium überstand knapp ein

Referendum. Im letzten Dezember, nachdem der  Dauerzustand die Kritiker zermürbt und

der Gewöhnungseffekt überhand genommen hatte, erklärte der Nationalrat den verstaatlichten Drogenkonsum zum definitiven Recht.

 

KFOR
Am 23. Juni 1999 hatte der Bundesrat entschieden, sich mit 160 bis 220 Soldaten an der

internationalen Militärtruppe KFOR im Kosovo zu beteiligen. Der Einsatz wurde bis Ende

2000 befristet. Am 25. Oktober 2000 befristete die Regierung das Engagement auf Ende

2001. Im Dezember 2001, nach dem hauchdünnen Entscheid zur Bewaffnung der im

Ausland eingesetzten Militärs, befristete das Parlament den Kosovo - Aufenthalt des

Kontingents bis Ende 2003. Mit zwei weiteren Beschlüssen ist die Swisscoy ­ Operation

eine bis Ende 2008 befristete Dauerbeschäftigung, wobei eine stabile Lage im Kosovo

jeweils ein Argument für die Effizienz und Notwendigkeit der Truppenpräsenz ist, während

gewaltsame Unruhen ( wie jene im März 2004 mit rund 20 Toten ) jeweils dazu dienen, eine

weitere militärische Unterstützung als unverzichtbar zu erklären. Die Begründungen

wechseln, der kurzfristige Waffengang in den Balkan kommt demnächst in sein zehntes

Jahr.
 

Spontan ausgelöste Milliardenlawine

Als 1989 die kommunistischen Regime zerfielen und ihre Staaten sich teilweise auflösten,

handelten die hiesigen Helfer rascher, als die Gesetze es ermöglicht hätten. 1990 sprach

das Parlament freihändig, nur auf der Basis einer allgemeinen aussenpolitischen Kompetenz

des Bundes, einen über drei Jahre laufenden Kredit von 250 Millionen Franken für Sofortmassnahmen in Ungarn, Polen und in der Tschechoslowakei. Der Blitzbeschluss, der

nicht dem Referendum unterstellt wurde, war der Anfang einer Milliardenlawine. Immer noch

ohne genügende gesetzliche Regelung verlängerte Bern die Osthilfe mit einem zweiten

Kredit im Wert von 800 Millionen, der bereits ein Jahr später um weitere 600 Millionen auf ­

gestockt wurde. 1995 bequemten Bundesrat und Parlament sich, das teure Provisorium auf eine rechtliche Basis zu stellen :

Die Hilfe wurde auf zehn Jahre befristet - und massiv ausgebaut. Der dritte Rahmenkredit

schwoll bereits auf 1,8 Milliarden Franken an. Gleichzeitig mit der dritten Aufstockung

( 400 Millionen ) verlängerte das Parlament 2004 den befristeten Beschluss zum zweiten

Mal. In dieser Session hat das Parlament die Zahlungen bis 2010 nochmals aufgestockt.

Aus einer spontanen Hilfsaktion wurde ein politisches Perpetuum, das schon über

4 Milliarden gekostet hat.

Nun wollen Bundesrat Pascal Couchepin und die Mitteparteien die IV mit einer zeitlich

befristeten Erhöhung der Mehrwertsteuer sanieren, die keinem Blanko - Check gleich -

kommen dürfe, wie die FDP flötet. Zur Diskussion steht der im Nationalrat gescheiterte

bundesrätliche Antrag, die Steuer um weitere 0.8 Prozent ( Mehreinnahmen : rund

2 Milliarden) anzuheben. Bereits der Zeithorizont verbietet es, von einer kontrollierbaren Frist

zu sprechen : Gemäss optimistischer offizieller Rechnung wäre die IV irgendwann gegen das

Jahr 2030 schuldenfrei, aber ohne Mehrwertsteuer - Prozent  weiterhin defizitär.

Wer in der Politik befristet sagt, der schwindelt definitiv.

 

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Last updated 21.03.2008

 

 

 

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